Luxusgüter der Zukunft

Buddha

Buddha, der Erleuchtete: Unwissenheit, Hass und Gier sind die Hauptursachen für Unglück

Maybe the life you always wanted
Is buried under everything you own
(Joshua Becker)

Corona hat vielen von uns auch das gebracht: Mehr Raum und mehr Zeit.

In „Weniger ist mehr“ zitiere ich den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der schon vor über 20 Jahren weitsichtig prognostizierte: „Zu den Luxusgütern der Zukunft werden Raum und Zeit gehören“ – und beides ist vergraben unter einem Berg von Dingen, Informationen und Verpflichtungen, die unsere Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, sodass unser Leben schwer wird.

Mit leichterem Gepäck reist es sich leichter, das erlebe ich sehr deutlich, während ich gerade meinen Besitz minimiere und auf das Notwendige zu beschränken versuche. Und es ist sicher immer noch mehr als genug.

Es ist die Gier, die uns treibt und versklavt – keine Religion benennt dies deutlicher als der Buddhismus. Zum Glück führt uns das unbändige Verlangen nach immer mehr allerdings nicht unbedingt.

Hass, Unwissenheit und Gier sind nach Ansicht der Buddhisten Hauptübel der Menschheit und wichtigster Faktor für Unglück – persönliches wie gesellschaftliches. Wie zutreffend diese Beobachtung ist, kann jeder an sich selbst durchdeklinieren.

Das Gegengewicht zur Gier ist Dankbarkeit.

Dankbar dafür, am Leben zu sein, dankbar dafür, weder Hunger noch Durst zu leiden, ein Dach über dem Kopf zu haben und nicht verfolgt zu werden. Eine demokratisch gewählte Regierung und  Rechtsgewissheit zu haben, kurz: mit den Errungenschaften des Globalen Westens gesegnet zu sein. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, erleben wir täglich in den Nachrichten.

Mich persönlich hat die Coronakrise tatsächlich veranlasst, mehr Dankbarkeit und Wertschätzung für die sogenannten „kleinen Dinge des Alltags“ zu fühlen – Dinge, die ich früher für selbstverständlich genommen habe. Sind sie aber nicht, sie können von heute auf morgen verloren gehen,  wie wir erlebt haben.

Dankbarkeit lässt sich trainieren, habe ich festgestellt. Es kann anfangs hilfreich sein, ein Dankbarkeit-Journal zu führen (es soll sogar anti-depressiv wirken), in dem man täglich drei Dinge listet, für die man dankbar ist.

Mindestens drei Wochen muss ein neues Verhalten praktiziert werden, um eine neue Gewohnheit zu etablieren, das haben psychologische Studien ergeben. Wie viel größer kann der Effekt nach drei Monaten (nach einem Lockdown) sein! Ich glaube, dass diese Veränderung bereits in Gang gesetzt  ist und wir uns auf einem neuen Weg mit neuen, aber eigentlich uralten Werten befinden, die es seit Ewigkeiten gibt – hin zu mehr innerer Balance und zu mehr Mäßigkeit.

Schwein gehabt mit Geburtsort und Lebensumständen? Danke!

Leben in der CORONA-Zeit

Sansibar Tansania

Hier bin ich zwar nicht, wäre aber gern jetzt dort … Simple but happy life in Sansibar/Tansania

 

Die Corona-Zeit – wie seltsam und zugleich bedeutungsvoll das klingt, diese Zeit, in der sich durch einen Virus mit einem Schlag so viele unserer Gewissheiten und Gewohnheiten änderten, auch Denkgewohnheiten. Wer hätte vor einem halben Jahr gedacht, dass Politiker einmal äußern würden, das Wohl der Menschen ginge über das der Ökonomie – wo wir eigentlich jahrzehntelang das glatte Gegenteil erlebt hatten. Der Mensch ist Mittelpunkt (nicht der Schöpfung, von dieser Überheblichkeit verabschieden wir uns ja gerade) und in einem Staatswesen sollte er natürlich so betrachtet werden und nicht: Der Mensch ist Mittel. Punkt.

Einer neuen Bertelsmann-Studie zufolge ist der Zusammenhalt innerhalb Gesellschaft seit Beginn der Corona-Krise stärker geworden, zumindest wird es in Umfragen so wahrgenommen – 46 gegenüber 36 Prozent vor CORONA sehen dies so. Menschen kümmerten sich wieder mehr um ihre Mitmenschen, meinten die Befragten,  die „mehrheitlich große Solidarität und Rücksichtnahme erfahren haben“, so Studien-Autor Kai Unzicker.

Ich finde, das ist auch fühlbar, wir gehen netter miteinander um, sind hilfsbereiter und auch dankbarer geworden, dankbar dafür, dass die Pandemie bisher so glimpflich ausgefallen ist. Wir haben Glück, dass uns dieses Gefühl einer größeren Solidarität nicht durch einen Krieg näher gebracht wurde und ich kann sagen, dass ich jeden Tag von neuem dankbar für mein Leben bin. Wenn ich durch CORONA eines gelernt habe, dann dies: Es ist nichts selbstverständlich, auch nicht, am Leben zu sein, es ist ein Geschenk.

Ein dreimonatiger Lockdown bleibt nicht ohne Folgen. Viel Zeit, um nachzudenken, ob die eigenen Prioritäten noch stimmen, ob sie in den Jahren des Optimierungswahns überhaupt je gestimmt haben. Der Konsum sinkt, was für die Wirtschaft schlecht, für die Seele jedoch gut ist. Wir werden (hoffentlich) nicht zum Status quo ante zurückkehren, wo wir gerade so erfolgreich darin sind, uns ein paar überflüssige Gewohnheiten abzugewöhnen.

Eine Menge Leute haben die Zeit genutzt, sich von den vielen überflüssigen Dingen zu befreien, die sie in Haus und Herz getragen haben. „Maybe most of your talents are buried under everything you own“, lautete ein Facebook-Post, den ich gern geteilt habe. Ich selbst habe mich gerade von etwa der Hälfte meiner Habseligkeiten (eigentlich ein lustiger Ausdruck!) getrennt (ebay machts möglich) und kann nur sagen: Ich vermisse nichts. Im Gegenteil – ich gewinne an Klarheit, weil ich nur noch von Dingen umgeben bin, die (momentan) bedeutsam für mich sind, und auch nur noch Lieblingskleidungsstücke besitze. Was sich nicht gut anfühlt, kommt weg, dazu brauchte ich nicht Marie Kondo sondern lediglich meinen gesunden Menschenverstand bzw. meine Intuition.

Der Prozess zum Weniger schärft die eigene Entscheidungskraft ungemein, ich stelle fest, dass ich auch andere Entscheidungen jetzt schneller treffe. Einfach weil ich besser „durchblicke“, auch auf meinem Schreibtisch, dessen Übersichtlichkeit klärt, welche Projekte für mich wirklich relevant sind.

„Weniger ist mehr“ ist so etwas wie mein Lebensthema, ursprünglich entstanden aus Erlebnissen als 19jährige  in einem aufs wirklich Wesentliche beschränkten Leben im Kibbutz, wo nie zählte, was du hast (in einem Kibbutz eher wenig), sondern immer nur, wer du bist. Und den Charakter (altmodisches Wort, wie mir gerade auffällt) erkennst du nicht an den Klamotten, der tollen Uhr oder dem schnittigen Schlitten, den du fährst sondern an den Augen, dem Gesichtsausdruck, deinem Reden und Handeln (das möglichst deckungsgleich sein sollte).

Die CORONA-Zeit erlebe ich gerade als regelrechten Aufbruch. Da wir jetzt mit unseren Masken alle etwas anders aussehen (gab es mal das Vermummungsverbot?), werden wir nun täglich daran erinnert, dass eine neue Zeit angebrochen ist, ob es uns gefällt oder nicht. Eine Zeit mit neuen Ritualen (bewussterem Händewaschen und Mundschutz anlegen), mehr Achtsamkeit und einem neuen Narrativ, das tatsächlich die ganze Welt eint – wann hat es so etwas zuletzt gegeben? Und: eine Zeit, in der plötzlich viel von Respekt und Achtung voreinander die Rede ist; während des Lockdowns propagierten es sogar Werbefirmen, vielleicht weil sonst nicht viel im Angebot war J (außer online, aber ich persönlich kaufe und unterstütze lieber lokal).

Langer Rede kurzer Sinn: Ich meine, wir befinden uns in einer Phase sehr viel artgerechterer Menschenhaltung als vor CORONA, als wir häufig dichter als uns (zumindest den Sensibleren unter uns) lieb war in Restaurants, Theater- oder Kinosälen saßen, ganz zu schweigen von Großveranstaltungen und Massen-Events, auf denen (aus ökonomischen Gründen) für mein Gefühl viel zu viele Menschen eng gedrängt stehen mussten und Abstand halten unmöglich war.

Nun also ein (hoffentlich dauerhaftes) Zurück zu einer artgerechteren Menschenhaltung, zu Respekt, Würde, Dankbarkeit und… Anstand? Auch denen gegenüber, deren Vorfahren wir unseren Wohlstand in der westlichen Welt maßgeblich verdanken, auch wenn uns das erst allmählich dämmert. Darüber im nächsten Beitrag mehr.

Loslassen statt Horten

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Ja, ich denke schon. Das meiste davon jedenfalls. Im Ernst. Denn es befreit ungemein, Ballast abzuwerfen, Unnötiges zu entsorgen, wohin auch immer. Der Focus wird klarer, wenn man sich auf die Sachen konzentriert, die man wirklich benutzt. Beispiel Kleidung: Erwiesenermaßen tragen wir nur 20 Prozent der in unseren Schränken stationierten Garderobe!

Eine Lieblingshose (und zwei, drei  Ersatzstücke, wenn man waschen muss). Nur noch Lieblingssachen besitzen und sich jeden Morgen freuen, wenn man den Kleiderschrank öffnet und dort nur noch Sachen hängen, die man wirklich mag! Und: Es gibt nicht mehr so viele Entscheidungsoptionen, was das Leben sehr erleichtert.

Beispiel Lebensmittel: Seitdem ich kaum noch Fleisch esse, ist das Supermarktangebot, das mich früher oft zu erschlagen drohte, etwas überschaubarer geworden, kann ich dort ganze Abteilungen „überspringen“. Die persönliche Freiheit wächst, wenn man seinen Konsum einschränkt.

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Warum fällt uns das Loslassen oft so schwer?

Was Klamotten betrifft, so glaube ich, dass wir uns ungern damit konfrontieren, wie fehlgeleitet, manchmal regelrecht gierig wir im Moment des Kaufaktes agierten. Vielleicht war es ein Frustkauf? Nach meiner festen Überzeugung „hängen“ die Begleitumstände unseres Kaufs und sowie unsere Erfahrungen mit dem Kleidungsstück an diesem. Und instinktiv spüren wir dies und zögern daher, es anzuziehen. Also weg damit, finde einen würdigen Abgang dafür!

Immer mehr haben zu wollen ist eine Fehlsteuerung, die wir den Einflüsterungen von Marketing und Werbung zu verdanken haben. Und unserer Abhängigkeit von Image und Status  (also der Meinung anderer Menschen).  Was für ein Individualismus ist das denn? Nichts anderes als ein superschlaues Marketing-Konzept, dem wir auf den Leim gehen und dem wir uns durch entsprechende Kaufakte unterwerfen. Die Vermarktung des iPhones und Hundertausender Apps ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel.

Andere Menschen durch Besitz zu beeindrucken ist in einer Massenkonsum-Gesellschaft keine gute Idee – einfach, weil dadurch zu viele Ressourcen verballert werden. Ohnehin ist materieller Besitz ein im Wert stark schwankendes Gut. Bereits in der Bibel wird davor gewarnt, Dinge zu besitzen und zu horten, weil sie unweigerlich dem Verfall (oder Diebstahl) preisgegeben sind. Was zu viel ist verdirbt – auch den Charakter! Stattdessen, so wird vorgeschlagen, sich um Schätze im Himmel, also solche geistiger Art zu bemühen (eine heute leider sehr antiquiert wirkende Vorstellung). Denn am Ende unserer Tage zählt nur das, was wir sind und nicht das, was wir haben – das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen.

Eine starke innere Haltung gegenüber unserer Besitz- und Habgier einzunehmen ist  vermutlich ein lebenslanger Lernprozess. Bedeutet er doch, unseren unbewussten und stammhirngesteuerten Reaktionen, die uns immer wieder kalt erwischen, bewusstes und intelligentes Handeln entgegen zu setzen.

Aber das müsste doch eigentlich möglich sein, oder?

Medien und Populisten

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Der Schock über das Einziehen der AfD als drittstärkste Kraft in den Deutsche Bundestag könnte sich noch als heilsam erweisen – folgt doch jetzt nach all dem Wahlkampfgetöse eine seriösere Phase mit Analyse und Ursachenforschung: Wie konnte es nur dazu kommen? Was ist schief gelaufen in der vergangenen Legislaturperiode?
Wieso fühlen sich so viele abgehängt und nicht wahrgenommen? Alles „Globalisierungs-Verlierer“? Wenn es stimmt, dass 60 Prozent der AfD-Wähler reine Protestwähler waren – wogegen genau richtet sich der Protest? Gegen Angela Merkels beharrliche Weigerung, eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen zu formulieren? „Wir schaffen das“ – ja, aber die Bürokratie schafft es bisher eher recht als schlecht. Und ohne die Unterstützung der Flüchtlinge durch Hunderttausende von Ehrenamtlichen wäre die Situation vermutlich etwas brisanter.
Der Leipziger Soziologie-Professor Holger Lengfeld sprach gestern in den Tagesthemen von einer „kulturelle Unzufriedenheit mit dem demokratischen System“ – vielen Leuten, die AfD gewählt haben „passt die Gesamtrichtung nicht“ – die offene Gesellschaft mit mehr Multi-Kulti und der Anerkennung unterschiedlicher Lebensweisen (Stichwort: Homo-Ehe). „AfD-Wähler wollen Gehör finden, ihre Meinung kundtun“, so Lengfeld. Da Flüchtlingsfragen in Zukunft noch eine größere Bedeutung bekommen und Migration eher zunehmen werde, sei es wichtig, diese Themen gut zu kommunizieren, vor allem aber anders Denkenden besser zuzuhören – bei aller gebotenen Auseinandersetzung über Sachfragen.
In der Vergangenheit hat man diese Menschen eher schon fast reflexhaft ausgegrenzt – ein falscher Ansatz, wie inzwischen vielen klar wird.
Und noch ein Punkt verdient Beachtung. Wir leben in einer immer stärker auf Aufmerksamkeit, Erregung und Lust an Extremen geprägten Kultur. Maß und Mitte haben gerade keine Hochkultur, weil sie keine Quote und keine Reichweite bringen. Insofern müsste die häufig scheinheilige Rolle der Medien bei der Beförderung populistischer Anschauungen etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Der hohe Unterhaltungswert extremer Ansichten und Haltungen (am intensivsten in der laufenden Berichterstattung über Donald Trump zu beobachten) wird von ihnen durchaus goutiert.
Warum sonst muss jede Rechtsausleger-Äußerung über Tage in epischer Breite aufgeregt diskutiert werden? Weil es die Sensationsgier befriedigt – die der Medien und sicherlich auch die von uns, die wir auf immer stärkere Reize konditioniert sind. Aber ist das gut? Bringt uns das weiter bei der Lösung der drängenden ökologischen und innen- sowie außenpolitischen Fragen?
Man hat denen, die Populisten auf den Leim gehen immer wieder vorgeworfen, sie seien nicht bereit sich auf die in einer Demokratie nötigen oft langwierigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen. Doch undifferenziertes und vorurteilsbehaftete Denken wird ihnen tagtäglich von den (vor allem privaten) Medien nahegelegt. Man braucht sich nur deren zum Teil unglaublich primitive Dialoge und Plots in den Nachmittagssendungen anzusehen, um zu wissen, was da gesät wird, am heftigsten in den sogenannten Scripted Soaps – scheinbaren Reality-TV-Sendungen, die jedoch einem wohl durchdachten Drehbuch folgen, auch wenn es den Anschein hat, als äußere sich hier äußerst authentisch die Stimme der Unterschicht.
Wer verstanden hat, dass Fernsehen in den vergangenen Jahrzehnten zum Volkserzieher Nummer 1 mutiert ist, wundert sich nicht darüber, dass herauskommt, was man produziert hat. Wer Ressentiments, Konflikt kriegt genau das zurück. Selbst wenn man das Fernsehen lediglich als Frequenzverstärker herrschender Meinungen und Ströme betrachtet – die Verantwortung für diese Auswirkungen bleibt bestehen. Darüber muss dringend gesprochen werden.
Diametral entgegengesetzt zu dem, was ich eine Aufmerksamkeits- und Erregungskultur nenne, in der offenbar stets stärkere Reize nötig werden, um Menschen zu erreichen, ist das Gefühl des Einzelnen, von immer größerer Bedeutungslosigkeit zu sein. Dies umso mehr, als in einem nie da gewesenen Maße vermittelt wird, jeder von uns könne genauso so schön, schlank, berühmt und glücklich wie die Superstars dieser Welt werden. Die Messlatte für den Einzelnen hängt frustrierend hoch – und macht sich in erster Linie an Äußerlichkeiten fest.
Persönliche Bedeutung im Sinne eines Gefühls von „Ich bin wichtig – ich habe einen Wert“ haben früher die Religion oder über den eigenen Tellerrand hinausgehende Lebensphilosophien vermittelt. Ohne eine innere Vorstellung darüber, wofür ich hier auf der Welt bin und was mein Beitrag zum großen Ganzen sein könnte, wirkt das eigene Leben tatsächlich bedeutungslos. Noch so viele Kaufakte und Events werden dieses Defizit nicht aufwiegen, man kann es noch so oft versuchen, es wird nicht gelingen.
Hier können und müssen Politik, Kultur und Gesellschaft gegensteuern, indem sie Visionen über den eigenen Konsumhorizont hinaus bieten, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und dem Bedeutungsverlust entgegenwirken, indem sie beispielsweise humanistischer Werte fördern und fordern, erklären und lehren.
Eine Konsumkultur, in der wir lediglich als Käufer und Konsumenten wahrgenommen werden, wobei unsere seelischen Bedürfnisse missachtet und missbraucht werden, benötigt dringend ein Korrektiv. Eine Jamaica-Koalition, die ernsthaft zu verstehen versucht, woran es im Lande der Exportweltmeister fehlt, könnte hier ganz neue Signale setzen.

Die Geschichte von Weniger ist mehr

IMG_8496Als ich 1998 , auf dem Höhepunkt von Internet-Blase und Börsenhype „Weniger ist mehr – zurück zum einfachen Leben“ veröffentlichte, war ich  eine der Ersten, die sich Gedanken über den Charme des Downsizing zum „Weniger“ machte.  Erst sehr viel später folgten die Küstenmachers und andere Autoren diesem Thema, wurden zum Teil mit ihren Büchern auch viel bekannter, weil sie diese mit einem gut durchdachten Marketing-Konzept verbanden.

Bei mir war es etwas anders. Mein Buch wurde gewissermaßen Opfer seines eigenen Titels. Es erschien aufgrund interner Querelen meines Verlages (Kabel bei Piper) in einer vergleichsweise kleinen Auflage von 2000 Stück, die innerhalb eines halben Jahres ausverkauft war. Mein damaliger Verleger hatte seinen Verlag verkauft und betreute seine Bücher als Lektor bei Piper – bis er den Verlag verließ. Nun hatte mein Buch keine „Lobby“ mehr und ich erhielt die Rechte zurück.

Als im HAMBURGER ABENDBLATT ein Artikel von mir erschien, in dem ich die wesentlichen Thesen meines Buches zusammen gefasst hatte, klingelte das Telefon drei Wochen lang ununterbrochen. Alle wollten mein Buch kaufen! Ich ließ schrittweise 3000 Stück nachdrucken und verkaufte und versandte die Exemplare. Es war eine höchst interessante Erfahrung, denn wann hat man als Autor schon mal die Gelegenheit, mit seinen Lesern zu sprechen! Angesichts des vorherigen Debakels über das Buch war ich angenehm überrascht, offenbar einen Nerv getroffen zu haben. „Endlich mal jemand, der genau sagt, wie es ist“, „Das Buch liegt auf meinem Nachtisch und ist meine Bibel geworden“, “…hast mein Leben verändert“ – so lauteten die begeisterten Kommentare meiner Leser. Ich war sehr zufrieden mit dieser Wirkung, zumal ich total hinter meinem Buch stand (und nach wie vor stehe).

2012 schrieb ich etwa ein Drittel des Buches neu und setzte an das Ende eine Kurzgeschichte, eine Parabel unseres Lebens sozusagen. Dann brachte ich das runderneuerte und aktualisierte Buch im Classicus Verlag heraus. Inzwischen ist auch diese dritte Auflage bis auf etwa 100 Restexemplare verkauft und ich komme zu dem Schluss, dass dieses Buch mit seiner doch recht steinigen Entwicklungsgeschichte zu einer Art Longseller geworden ist. Jetzt habe ich die Rechte zurückerworben und werde auf diesem Blog die wesentlichen Gedanken mit aktuellen Fragestellungen verbinden. I

Ich habe nämlich den Eindruck, das Thema wird immer brisanter: Wie können wir angesichts des absehbaren Klimakollapses (dessen Auswirkungen in Form von Wetterextremen  bereits jetzt deutlich spürbar sind) lernen, uns schrittweise immer mehr einzuschränken, ohne dies als unangenehm zu empfinden? Wie können wir uns von dem uns eingeimpften „Immer mehr ist immer besser“ und „Wachstum ist gut“ befreien und uns wieder stärker an dem orientieren, was uns wirklich wichtig ist, was wir wirklich für unser Glück benötigen? Sind es wirklich die Waren oder suchen wir eigentlich etwas ganz anderes? Etwas, wofür all die Kaufakte, die wir zum Teil in einer Art somnambuler Grundstimmung fällen, nur dürftiger Ersatz sind?

Manchmal denke ich, vielleicht werden wir es irgendwann gar nicht mehr benennen können, was wir wirklich suchen, keine Worte mehr dafür haben, was es ist, was uns fehlt, weil uns (aus intimer Kenntnis unseres Konsumverhalten heraus) sofort Angebote  gemacht werden, wie wir die Löcher in unserer Seele stopfen können. Das erfordert zwar keine psychische Energie und kann daher auch nicht wirklich funktionieren.

Es macht aber süchtig nach immer neuen Ablenkungsangeboten, während wir dabei gefühlsmäßige Analphabeten, manche nennen es auch „Konsumsklaven“ werden, die Unternehmen dabei unterstützen, Geld zu verdienen.

Doch was brauche ich wirklich?

Very simple: Glück und Erfüllung im Leben!

Wie das funktionieren kann – darüber werde ich in den folgenden Beiträgen viel schreiben. Ich freue mich darauf!

 

„Weniger ist mehr – auf der Suche nach dem eigenen Maß“ kann man unter catharina@aanderud.de bestellen.FullSizeRender

Die Rolle von Freud bei der Steuerung unserer Bedürfnisse

IMG_2721Wie kann  man sich erklären, dass wir Dinge kaufen, die wir gar nicht brauchen? Die zwanzigste Paar Schuhe, die zehnte Handtasche, das dritte Paar Handschuhe? Und wie kann es sein, dass Konsumenten für den Kauf eines neuen Smart-Phones die ganzes Nacht vor dem Laden verbringen, um am nächsten Tag als eine der ersten mit der Trophäe in der Hand bei ihren Freunden und Arbeitskollegen zu punkten? It’s all Psychology, Stupid!  Bearney, ein Neffe Freuds und Vater der modernen Werbung und PR, erkannte als erster, welche Möglichkeiten für Marketing und Werbung in all den unerfüllten Bedürfnissen der Menschen schlummerten. .Inzwischen kümmert sich ein ganzes Heer von Marktpsychologen darum, immer gezielter in unsere Innenwelt einzusteigen und dort immer neue Bedürfnisse wach zu kitzeln.

Wie wir zu Konsumenten wurden

Die wenigsten wissen heute, dass der Siegeszug des amerikanischen Kapitalismus und vor allem die enge Verknüpfung von Demokratie mit dem kapitalistischen Modell durch einen Mann in die Wege geleitet wurde, der ein Neffe Sigmund Freuds war, des Begründers der Psychoanalyse. Edward Bernays ist heute so gut wie unbekannt, aber sein Einfluss auf das 20. Jahrhundert war fast ebenso groß wie der seines berühmten Onkels. Er war der erste, der Freuds Theorien im Auftrag von Großkonzernen nutzte, um die Massen zu beeinflussen, etwas zu wollen, was sie nicht brauchten, indem er massenproduzierte Waren mit ihren unbewussten Wünschen verknüpfte. Dies war die Geburtstunde des Konsumenten, wie er heute unsere Welt dominiert.

Edward Bernays hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg als PR-Berater – ein Begriff, den er selbst kreiert hatte – in Brooklyn niedergelassen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war Amerika eine Massenindustrie-Gesellschaft geworden, mit Millionen von Menschen, die dicht gedrängt in den Metropolen lebten. Entschlossen, Mittel und Wege zu finden, das Denken und Fühlen dieser Massen zu beeinflussen und dies lukrativ umzusetzen, wandte sich Bernays den Schriften seines Onkels, Sigmund Freud, zu.

Freud hatte ein düsteres Bild des Menschen gemalt, getrieben von irrationalen und unbewußten Kräften, die jederzeit unter der Oberfläche hervorbrechen konnten und in Gemeinschaft mit anderen zu einem rasenden Mob werden konnten, der sogar Regierungen stürzen konnte, wie es 1917 gerade in Rußland geschehen war.

Diese Vorstellung erschreckte die damaligen Eliten Amerikas. Für viele bedeutete dies, dass eines der Hauptprinzipien, die für Massendemokratien bisher galten, obsolet war: dass man Menschen vertrauen kann, ihre Entscheidungen auf rationaler Grundlage zu fällen. Demokratie musste also neu überdacht werden und man suchte nun nach psychologischen Techniken, die in der Lage waren, das Unbewusste von potentiell gefährlichen Massen zu lenken und soziale Kontrolle auszuüben.

PR-Kampagne bringt Frauen massenweise zum Rauchen

Bernays war fasziniert von der Vorstellung versteckter irrationaler Kräfte im Menschen und überlegte, wie man mit der Manipulation des Unbewussten Geld verdienen könne, denn er verstand sofort, dass menschlicher Entscheidungsfindung sehr viel mehr zugrunde lag, als man bisher gedacht hatte, und dass hierfür keineswegs nur rationale Motive ausschlaggebend waren. Indem er die Dinge aus dem Blickwinkel irrationaler Emotionen betrachtete, entwickelte er einen völlig neuen Denkhorizont. Die meisten Manager und Werbestrategen dachten damals, wenn man Menschen nur mit genügend Informationen über ein Produkt überschüttete, würden sie sich überzeugen lassen, es zu kaufen. Aber so funktionierte es eben nicht.

Bernays begann mit den Ideen Freuds zu experimentieren.

1920 schrieb er eine Reihe von Büchern, in denen er behauptete, er habe Techniken gefunden, um die irrationalen Kräfte der Massen zu managen: Man müsse ihre innersten Wünsche und unerkannten Bedürfnisse anregen und sie dann mit Konsumgütern befriedigen. Er nannte es „Engineering of Consent“ – auf Deutsch etwa: das „Entwicklung von Einverständnis“.

Sein aufsehenerregendster Erfolg war, dass er es schaffte, Frauen zum Rauchen zu veranlassen, was damals noch ein Tabu war – eine Frau rauchte nicht, schon gar nicht auf der Straße. Einer seiner ersten Klienten, die American Tobacco Corporation, beauftragte Bernays damit, dieses Tabu zu brechen. Bernays fragte einen der führenden Psychoanalytiker New Yorks, was Zigaretten für Frauen bedeuteten und erfuhr, dass Zigaretten den männlichen Penis und männliche sexuelle Kraft symbolisierten. Wenn es Bernays gelänge, Zigaretten stattdessen mit der Herausforderung männlicher Macht zu assoziieren, würden auch Frauen anfangen zu rauchen.

Rauchen wird zum Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit

Nun setzte Bernays zu einem geradezu genialen PR-Feldzug an. Als in New York die jährliche Osterparade anstand, überredete er ein paar Models, Zigaretten unter ihren Strumpfbändern versteckt zu halten. Sie sollten dann zu der Parade stoßen und auf ein verstecktes Zeichen von ihm ihre Zigaretten hervorholen und mit dramatischer Geste anzünden. Gleichzeitig informierte Bernays die Presse, zu der er ausgezeichnete Verbindungen unterhielt, er habe gehört, dass eine Gruppe Suffragetten die Osterparade für ihren Protest nutzen wolle, indem sie etwas anzündeten, was sie „Fackeln der Freiheit“ nannten.

Er wusste, dass alle Fotografen zur Stelle sein würden, um diesen Augenblick einzufangen, dafür hatte er den PR-wirksamen Slogan „Fackeln der Freiheit“ entwickelt. Auf diese Weise hatte er mit äußerstem Geschick junge, gutaussehende Frauen, die in der Öffentlichkeit rauchten, mit Freiheit, dem Symbol, für das Amerika steht verknüpft, sodass jeder, der an den amerikanischen Traum glaubte, diese Frauen und ihr Verhalten unterstützen musste. Am nächsten Tag war über dieses Ereignis in allen Zeitungen des Landes sowie in der internationalen Presse zu lesen – und von da an stieg der Verkauf von Zigaretten an Frauen kontinuierlich.

Bernays hatte mit einem einzigen symbolischen Akt das Rauchen für Frauen sozial akzeptabel gemacht. Mehr noch: Er setzte die Idee durch, dass es eine Frau mächtiger und unabhängiger macht, wenn sie raucht.

Wie wir lernten, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen

Nach diesem Erfolg wusste Bernays nun definitiv, dass es möglich war, Menschen zu veranlassen, sich irrational zu verhalten, indem man Produkte an ihre Gefühle, ihre emotionalen Wünsche und Bedürfnisse band. Produkte werden nicht an den Intellekt verkauft, sondern an das Gefühl: Du brauchst das neue Kleid oder Auto nicht – aber du fühlst dich besser, wenn du es kaufst! Mit dieser emotionalen Verknüpfung schuf Bernays den neuen Konsumenten-Typ.

Die Ideen Bernays faszinierten die amerikanischen Konzerne, die seit geraumer Zeit die Furcht umtrieb, dass das System der Massenproduktion über kurz oder lang zu einer Überproduktion führen würde, sobald der Punkt erreicht war, an dem alle Bedürfnisse der Menschen nach Kühlschränken, Fernsehern und Autos etc. befriedigt wären und sie einfach aufhören würden zu kaufen.

Bis zu dem Zeitpunkt hatte man die meisten Produkte auf der Basis von Notwendigkeit verkauft, in der Werbung wurden ihre Funktionen oder ihre Langlebigkeit herausgestellt, aber nun realisierten die großen Firmen, dass sie die Art, wie Menschen Waren betrachteten, verändern mussten.

Einer der damals führenden Wall Street Banker, Paul Mazer, schrieb: „Wir müssen Amerika von einer Kultur der Notwendigkeiten zu einer der Wünsche verändern. Den Menschen muss beigebracht werden etwas zu begehren, neue Dinge haben zu wollen, noch bevor die alten vollständig verbraucht sind. Wir müssen eine neue Mentalität in Amerika formen, in der die Wünsche der Menschen ihre Notwendigkeiten überlagern.“

Für diesen Umformungsprozess, der Mazers Vision folgend die Massen dazu bringen sollte, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchten, aber wollten, lieferte Bernays die psychologischen Theorien, denn er wusste besser als jeder andere, wie man die Massen beeinflussen konnte und den menschlichen Geist motiviert. Sein Job war es, den neuen Konsumententyp „herzustellen“. Und so entwickelte er in den 20er Jahren die meisten Techniken der Massenkonsumenten-Manipulation, mit denen wir bis heute leben.

Autos als Symbole männlicher Sexualität

Auch der Verleger William R. Hearst engagierte ihn, um ein neues Frauenmagazin zu promoten. Bernay verlieh ihm einen besonderen Zauber, indem er Artikel und Werbung platzierte, die Produkte seiner anderen Kunden in Verbindung mit berühmten Filmstars zeigten. Er begann mit Product Placement in Filmen und stattete Stars mit Kleidern und Juwelen der Firmen aus, die er repräsentierte. Er war auch der erste, der Autoherstellern empfahl, Autos als Symbole männlicher Sexualität zu verkaufen. Außerdem engagierte er Psychologen, die Gutachten erstellten, in denen sie bestimmte Produkte als besonders gut empfahlen, behauptete aber, dies seien unabhängige Studien.

Er organisierte Modeschauen in Kaufhäusern und bezahlte Prominente dafür, dass sie die grundlegende Botschaft wiederholten: „Ihr kauft Dinge nicht, weil ihr sie braucht, sondern um eure Individualität auszudrücken!“ 1927 schrieb ein amerikanischer Journalist: „In unserer Demokratie hat eine Veränderung stattgefunden und sie heißt Konsum. Die erste Priorität eines Amerikaners für sein Land ist nicht mehr, ein Bürger zu sein, sondern ein Konsument!“ Edward Bernays wurde berühmt als der Mann, der die Köpfe der Massen verstand und wusste, wie man sie erfolgreich ansprach.

1929 kam mit Herbert C. Hoover ein Präsident an die Macht, der mit Bernays Ideen völlig übereinstimmte. Er war der erste Politiker, der den Gedanken aussprach, die Konsumenten seien der zentrale Motor des amerikanischen Lebens geworden. Nach seiner Wahl sagte er zu einer Gruppe von Werbe- und PR-Leuten: Sie haben den Job übernommen, Wünsche zu wecken und so Menschen in bewegliche Glücksmaschinen zu verwandeln, Maschinen, die der Schlüssel für wirtschaftlichen Fortschritt geworden sind.

Diese Konsumenten hielten nicht nur die Wirtschaft am Laufen, sondern waren auch etwas schläfrig, was zur Stabilität der Gesellschaft beitrug. Ann Bernays, die Tochter von Edward Bernays, sagte dazu später in einem Interview: „Für meinen Vater war Demokratie ein wunderbares Konzept, aber er glaubte nicht, dass alle Menschen ein verlässliches Urteil hatten und daher leicht verführt werden konnten, den falschen Mann oder überhaupt das Falsche zu wählen; also mussten sie von oben geführt werden.“

Die Psyche betäuben, um Machtverhältnisse zu erhalten

Der PR-Historiker Steward Ewen bemerkt kritisch: „Bernays Konzept der Massen-Führung macht aus der Idee der Demokratie ein Betäubungsmittel, indem er den Menschen eine Wohlfühl-Medizin gibt, die bei jedem unmittelbaren Verlangen und jedem Schmerz eingesetzt werden kann, ohne dass die objektiven Gegebenheiten dabei auch nur ein Jota verändert werden. Kern der Idee von Demokratie war ursprünglich, die Machtverhältnisse zu ändern, die die Welt so lange bestimmt hatten. Bernays Vorstellung von Demokratie war jedoch, die Machtverhältnisse zu erhalten, selbst wenn dies bedeutete, die Psyche des Volkes zu stimulieren, und seiner Meinung nach war es das, was nötig war. Aber wenn man die irrationalen Kräfte ständig stimuliert, kann die Führung im Prinzip fortfahren zu tun, was sie will!“

Bernays wurde eine der bekanntesten Persönlichkeiten der amerikanischen Gesellschaft und wurde außerordentlich reich. Zu seinen Soireen kamen alle: der Bürgermeister, führende Medienleute, Politiker, Unternehmer und Künstler – es war ein Who is Who. Alle wollten Bernays kennenlernen, weil er eine Art Magier war, der die erstaunlichsten Dinge geschehen lassen konnte.

Seine Machtposition wurde jedoch kurzfristig durch eine menschliche Irrationalität zerstört, gegen die er machtlos war: den Börsen-Crash von 1929. Der Effekt auf die Wirtschaft war verheerend: Angesichts von Rezession und Arbeitslosigkeit hörten Millionen von Amerikanern auf, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchten. Bernays, seine Sicht des Konsumenten und der PR-Beruf als solcher wurden unpopulär.  Die Krise schwappte auch zu den jungen Demokratien Deutschland und Österreich, wo sich bewaffnete Anhänger der verschiedenen politischen Parteien Straßenschlachten lieferten.

Vor diesem Hintergrund schrieb der krebskranke Freud sein Buch „Das Unbehagen in der Kultur“ – eine heftige Attacke gegen die Idee, dass Zivilisation ein Ausdruck menschlicher Entwicklung sei. Vielmehr, so argumentierte er, sei sie notwendig, um die gefährlichen triebhaften Kräfte, die in jedem Menschen schlummern, zu kontrollieren.

Irrationale Triebkräfte durch Konsum besänftigen

Das bedeutete eigentlich, dass das Ideal der individuellen Freiheit, das Herzstück der Demokratie, unmöglich war. Man konnte den Menschen also nicht erlauben, sich wirklich frei zu äußern, weil dies zu gefährlich war. Sie mussten ständig kontrolliert werden und somit unzufrieden bleiben, denn dies war die einzige Möglichkeit war, ihnen Grenzen zu setzen.

Auch die Nationalsozialisten waren davon überzeugt, dass Demokratie gefährlich sei, weil sie selbstsüchtigen Individualismus freisetze. Mit straff organisierter Freizeit und Massenveranstaltungen wurden die Gefühle und Wünsche der Menschen daher kanalisiert und in fanatische Hingabe für ihr Land und dessen „Führer“ umgewandelt.

Eine seiner Inspirationen, erzählte Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels amerikanischen Journalisten, seien die Schriften von Freuds Neffen Edward Bernay gewesen! Die Nazis förderten die von Bernays und Freud beschriebenen unbewußten Begierden und dunklen Triebkräfte absichtlich, weil sie glaubten, sie könnten sie beherrschen. Bei Aufmärschen Hitlers, wenn die Massen plötzlich „Sieg Heil!“ skandierten konnte man das eruptive Aufbrechen dieser irrationalen Kräfte beobachten.

Auch in den USA war die Demokratie gefährdet, weil eine aufgebrachte Bevölkerung ihre Wut über Massenarbeitslosigkeit und Verarmung gegenüber den Aktiengesellschaften entlud, die sie als Verursacher des Desasters betrachteten. Als Franklin D. Roosevelt 1933 – auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise – als neuer Präsident gewählt wurde, trat er mit dem erklärten Ziel an, die Demokratie wieder zu stärken. Seiner Überzeugung nach hatte der Börsencrash deutlich gezeigt, dass der Laisser-Faire-Kapitalismus moderne Industriegesellschaften nicht länger lenken dürfe, sondern dass dies vielmehr die Aufgabe von Regierungen war. Die Großunternehmen waren entsetzt.

Unter dem Schlagwort „New Deal“ führte er einschneidende Wirtschafts- und Sozialreformen ein und kurbelte mit massiven staatlichen Investitionen die Binnenkonjunktur an, um Massenarbeitslosigkeit und Armut zu lindern. Er glaubte, dass die Menschen vernunftbegabt seien und man ihnen zutrauen könne, einen aktiven Part in der Politik zu übernehmen, indem man ihre Meinung mit einbezog.

Gemeinschaftsgefühl als Gegenmittel zur Macht der Großkonzerne

Unterstützt wurde er dabei von George Gallup, dem Pionier der Markt- und Meinungsforschung. Gallups regelmäßige Meinungsumfragen („Was denkt das Land?“) vermittelten ein kontinuierliches Bild davon, wie zufrieden oder unzufrieden die Bürger mit der politischen Führung waren, was sie billigten und was sie ablehnten. Anders als Bernays glaubte Gallup nicht, daß Menschen unbewussten Kräften ausgesetzt seien, sondern war überzeugt davon, dass sie wussten, was sie wollten und vernünftige Entscheidungen trafen, wenn man ihnen sachliche Fragen stellte und darauf verzichtete, ihre Gefühle zu manipulieren.

Diese Umfragen gaben der Demokratie die Chance, über die öffentliche Meinung genau informiert zu sein, indem sie jedem eine Stimme gaben, die auch gehört wurde. So schuf Roosevelt eine völlig neue Verbindung zwischen Volk und Politik. Berühmt wurde seine Rede, die mit den Worten anfing: „Es ist meine feste Überzeugung, dass das einzige, was wir zu fürchten haben, die Furcht selbst ist.“ Er sah und behandelte Menschen nicht als isolierte und manipulierbare Individuen, sondern lenkte ihr Augenmerk darauf, daß sie gemeinsame Ziele und Interessen mit anderen hatten, und daß dieser Zusammenhalt ihnen helfen würde, sich über ihre persönlichen Ängste zu erheben.

Roosevelts Ziel war es, soziale Gerechtigkeit und darüber hinaus ein Gemeinschaftsgefühl zwischen den Menschen zu schaffen, welches ein Gegengewicht zur Macht der Großkonzerne darstellen konnte. Bei seiner Wiederwahl 1937 versprach er weitere Kontrolle der Großunternehmen, was diese als „Eingriff in privates Unternehmertum“ und „Beginn einer Diktatur“ bezeichneten. Sie beschlossen zurückzuschlagen und einen ideologischen Krieg gegen Roosevelts New Deal zu führen, um ihre Macht wiederzuerlangen.

Der PR-Historiker Steward Ewen: „Unter der Schirmherrschaft der National Association of Manufacturers, deren Mitglieder alle großen Aktiengesellschaften waren, wurde eine Kampagne gestartet. Sie sollte emotionale Bindungen zwischen der Öffentlichkeit und den Großunternehmen herztellen – wobei Edward Bernays PR-Techniken voll zum Einsatz kamen.“

PR-Strategie zur Verknüpfung von Demokratie mit Kapitalismus

Die Kampagne zeigte drastisch, dass es die Unternehmen und nicht die Politiker waren, die das moderne Amerika geschaffen hatten. Beispielsweise mit Filmen wie der General Motors-Produktion „Parade of Progress“, in der die faszinierende Geschichte der modernen Industrie gezeigt wurde. Bernay war Berater von GM, aber er war nicht mehr der Einzige, die Branche, die er gegründet hatte, blühte, als Hunderte von PR-Beratern die Kampagne organisierten. Sie setzten nicht nur Anzeigen und Plakate ein, sondern schafften es, ihre Botschaft bis in die Leitartikel der Zeitungen zu lancieren.

Als Reaktion darauf ließ die amerikanische Regierung Filme herstellen, in denen sie die skrupellose Manipulation der Presse durch die Großunternehmen anprangerte. Dabei nahm sie besonders deren Handlanger, die neue Berufssparte der PR-Manager aufs Korn: „Sie versuchen ihre Ziele zu erreichen, indem sie total im Hintergrund operieren und so die Öffentlichkeit täuschen und korrumpieren. Die Ziele dieser Leute mögen gut oder schlecht sein, aber ihre Methoden sind vom öffentlichen Interesse her gesehen eine große Gefahr für demokratische Institutionen.“

Im Jahre 1939 fand in New York die Weltausstellung statt, für die Bernays zentraler Berater war. Er bestand darauf, dass das Thema die Verbindung zwischen Demokratie und amerikanischer Wirtschaft sein müsse. In GMs „Futurama“ wurden die Zukunft und der technologische Fortschritt in faszinierenden Bildern verherrlicht und Wohlstand, Überfluss und Bequemlichkeit in einer ständig wachsenden, immer größer und besser werdenden Welt von Morgen versprochen.

„Für meinen Vater war die Weltausstellung eine Chance, den Status Quo aufrechtzuerhalten: die enge Verbindung zwischen Demokratie und Kapitalismus“, sagt Ann Bernays. „Er tat dies, indem er Menschen manipulierte und ihnen einredete, dass sie keine wirkliche Demokratie in irgendetwas anderem als in einer kapitalistischen Gesellschaft haben konnten. Eine Gesellschaft, die in der Lage war, einfach alles zu machen – diese wunderbaren Autobahnen zu bauen, bewegte Bilder in jedes Haus zu bringen oder Telefone zu erfinden, die keine Schnur brauchten. Es war konsumistisch, aber gleichzeitig gingen Demokratie und Kapitalismus auf leichte Weise eine Verbindung ein.“

Die  Weltausstellung war ein außerordentlicher Erfolg, sie begeisterte die Amerikaner und nahm ihre Vorstellungskraft gefangen, denn sie transportierte die Vision einer neuen Form der Demokratie, in der die Unternehmen auf die innersten Wünsche der Menschen in einer Weise eingingen, wie es Politiker nie tun konnten. Aber es war eine Demokratie, in der die Menschen nicht mehr als aktive Bürger behandelt wurden, wie Roosevelt es tat, sondern als passive Konsumenten. Nicht die Menschen, sondern ihre Wünsche sind entscheidend.

Getrieben von irrationalen Kräften

„Unter diesen Umständen haben die Menschen keinerlei Entscheidungsmacht“, so der PR-Historiker Steward Ewen. „Auf diese Weise wird Demokratie, die eigentlich einen aktiven Bürger voraussetzt, auf eine Öffentlichkeit von passiven Konsumenten reduziert, die in erster Linie von ihren instinkthaften, unbewussten Wünschen getrieben wird. Und wenn es einem gelingt, diese Wünsche auszulösen, kann man mit ihnen alles machen, was man will.“

Der Kampf dieser beiden Sichtweisen – ob Menschen vernünftig oder unvernünftig sind – wurde schließlich ganz maßgeblich durch die Ereignisse in Europa beeinflusst. Der Zweite Weltkrieg, vor allem der massenhafte Hass der Bevölkerung auf die Juden, den das Nazi-Regime in Deutschland ausgelöst hatte, veränderte die Art und Weise, wie amerikanische Politiker Demokratie betrachteten fundamental.

Jetzt waren sie überzeugt davon, dass Freud recht hatte. Verborgen unter der Oberfläche schlummerten offenbar in allen Menschen gefährliche, wilde Kräfte, die kontrolliert werden mussten. Die Konzentrationslager legten ein schreckliches Zeugnis davon ab, was passierte, wenn man diese Kräfte entfesselte. Da sie davon ausgingen, dass in ihrer eigenen Bevölkerung dieselben verborgenen Kräfte lagen, wandten sich Politiker und Planer den Theorien Freuds und seiner Familie zu. Sigmund Freud war bereits 1939 in London gestorben, aber seine Tochter Anna wurde in den Staaten sehr populär, weil sie glaubte, man könne den Menschen beibringen, ihre irrationalen Kräfte zu kontrollieren. Der anpassungsfähige Edward Bernay arbeitete inzwischen für den CIA.

Ihre Ideen wurden von der US-Regierung, den Großunternehmen und der CIA verwendet. Sie entwickelten umfangreiche Programme, um das psychologische Leben der Massen zu beeinflussen, denn dies, so glaubten sie, sei der einzige Weg zu einer funktionierenden Demokratie und einer stabilen Gesellschaft.

Konsumenten auf der Couch

Die Unternehmen warben für die Idee, dass der Befriedigung individueller Wünsche und Gefühle oberste Priorität eingeräumt werden müsse und sie entwickelten auf Basis der Theorie Freuds eine Reihe von Techniken, um die innersten Wünsche und Vorlieben der Menschen zu eruieren und mit entsprechenden Produkten zu befriedigen.

Stuart Ewen: „Die Strategie, die Bernays ihnen dafür anbot, war, dass die Leute ein Produkt nicht so sehr als etwas ansehen sollten, was sie für bestimmte Zwecke brauchten, sondern als etwas, was ihnen gut tue und ihren tiefsten emotionalen Sehnsüchten entspreche. Also wie dieses Seifenstück sie zu einer glücklicheren, erfolgreicheren, stärkeren, sexuell attraktiveren und weniger ängstlichen Person macht, zu jemand, den man bewundert. Die mächtigsten Menschen dieser Welt sind diejenigen, die das Volk in dieser Hinsicht verstehen können und ihm das geben, was es will.“

Und so entstand in den letzten Jahrzehnten eine gewaltige Industrie, die sich der Erforschung von Konsumentenwünschen widmete. In analytisch orientierten „Focus-Gruppen“ wurden die Konsumenten wie Patienten auf der Couch eines Analytikers dazu ermutigt, ihre innersten Gefühle und Bedürfnisse auszusprechen. Diese Informationen wurden dann zur Entwicklung neuer Produkte genutzt, die diese Bedürfnisse erfüllen sollten. Bernays war der Gründungsvater dieser bunten Marketingwelt, deren Credo lautete: Finde heraus, was die Leute wollen und verkaufe es ihnen!

Bei ihren Studien in den Focus-Gruppen begannen Marketingforscher Anfang der 80er Jahre einen neuen Individualismus zu entdecken. Die Menschen wollten nicht mehr nur als Teil einer sozialen Schicht gesehen werden, sondern suchten nach stärkerem Selbstausdruck – nach dem Motto: „Ich möchte nicht so sein wie jeder andere, ich möchte anders sein, ein kleines bisschen individueller“ – und eine entscheidende Rolle dafür spielten die Produkte, die sie kauften.

Individualismus –  ein schlaues Marketing-Concept

So entstanden neue Zielgruppendefinitionen und vor allem viele neue Markenprodukte, um diese vermeintliche „Individualität“ auszudrücken, die in Wahrheit nichts anderes als ein neuer Mainstream war und ist. In den späten 80er Jahren feierten die Wünsche des Individuums wahre Triumphe. Hedonismus hieß der neue Trend, und die Konsumenten wurden von Werbung und Medien darin bestärkt, die Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse als vorrangige Priorität zu betrachten.

Für manch einen mag dies nach einer perfekten Welt aussehen. Jeder kann tun, wozu er Lust hat und kaufen, was er will. Tatsächlich aber hat man uns darauf konditioniert, einen Großteil unserer Zeit und Aufmerksamkeit eigentlich unwichtigen Dingen zu schenken – Zeit, die wir besser für eine kreative und sinnvolle Gestaltung des eigenen Lebens oder, je nach Gemütslage, für die Verbesserung der Lebensbedingungen anderer, egal wo auf dem Globus, nutzen könnten. Zeit, die wir auf ganz einfache und ursprüngliche Weise mit Freunden verbringen, ohne dass sich zwischen uns und die anderen immer ein Konsumerlebnis oder –zwang schiebt. Reden, Lachen, Spielen, Tanzen!

Hedonistische Rücksichtslosigkeit dagegen zersetzt das Gemeinschaftsgefühl und löst soziale Bindungen auf. Vor allem aber werden durch die unentwegte Erzeugung von Pseudo-Bedürfnissen und den medialen Appell, sie ununterbrochen zu befriedigen, die selbstsüchtigen und gierigen Anteile der menschlichen Natur massiv verstärkt.

Wenn wir die grassierende Gier beklagen und unseren Konsum wirklich zurückschrauben wollen, müssen wir aufhören, unsere Wünsche und Bedürfnisse manipulieren zu lassen. Wir müssen also von selbstverliebten Ichlingen, die für jede Werbe-Schmeichelei anfällig sind, wieder zu aufmerksamen Bürgern und sozial denkenden Mitmenschen werden, von narkotisierten Konsumsklaven, die sich jeden Tand oder Trend verkaufen lassen, egal wie unnötig oder absurd er ist, zu bewussten Verbrauchern werden. Wir müssen endlich aufwachen!

 

 

 

Minimalismus macht glücklich!

IMG_8496Kennt Ihr auch das tiefe Gefühl der Befriedigung, das sich einstellt, wenn  Ihr mal wieder eine größere Ausmist-Aktion gestartet habt und die Schränke und Schubladen nur noch das enthalten, was Euch wirklich wichtig ist, was auch Ihr wirklich nutzt?  Mich jedenfalls energetisiert das immer enorm, weil – und das ist das Tolle daran – mit dem  Ausmisten überflüssiger Gegenstände auch der Kopf wieder frei wird und klarer über seine Prioritäten. Insofern kann ich aus vollem Herzen sagen: Minimalismus macht echt glücklich! Ich arbeite daran, eine Minimalistin zu sein, fühle mich jedoch von dem Ziel immer noch meilenweit entfernt. Minimalismus ist eher ein Prozess als ein Zustand und bedeutet eigentlich bewusste Aufmerksamkeit für sich selbst und das eigene Umfeld.

Mittlerweile macht mich das Verschenken und Weggeben von Dingen (beispielsweise zu Oxfam) genauso glücklich, wenn nicht sogar glücklicher als das Kaufen. Es ist nämlich so: Die meisten Gegenstände haben nur eine begrenzte emotionale Haltbarkeitsdauer. Beim Erwerb eines neuen Kleidungsstückes beispielsweise ist dessen persönlicher Wert in der Zeit um den Kaufakt herum vermutlich am höchsten. Danach verschwindet er in der Regel mit der Abnutzung – es sei denn, wir definieren dies als Patina oder Vintage und verwandeln es so zu etwas Kultigem!

Das funktioniert aber nicht immer, denn manche Gegenstände können regelrecht ins Minus wandern – vor allem, wenn sie kaputt sind (und vielleicht schon seit Jahren vergebens der  Reparatur harren!), aber auch wenn sie sich mit unangenehmen Erlebnissen verknüpft haben.  Ich habe heute Morgen eine (rund 15 Jahre alte) Strickjacke angezogen, die ich seit drei Jahren nicht mehr angerührt hatte. Sie vermittelte mir immer ein unangenehmes Gefühl, wenn ich sie im Schrank liegen sah. Äußerlich war sie völlig in Ordnung, nun ja, ein bisschen alt eben, aber dafür doch sehr nachhaltig!

Ich wollte es genauer wissen, und zog sie an. Nach kurzer Zeit bemerkte ich, wie ich mich immer schlechter fühlte. Da fiel es mir mit einem Mal wie Schuppen von den Augen: Diese Jacke hatte ich während einer Periode wiederkehrender Erkältungen immer getragen! Irgendwie hing diese Situation noch an ihr. Ich konnte es nicht sehen, aber mein Körper fühlte es!

Was für ein spannender Prozess, dachte ich, seinen Körper und die eigene Intuition entscheiden zu lassen, was gut für einen ist und was nicht!

Wenn ein Gegenstand keine positive, uns stärkende Ausstrahlung mehr hat, tun wir gut daran, uns von ihm zu trennen. Auch wenn er noch so teuer war (besonders ärgerlich, wenn nie getragen oder nie verwendet!), hier gibt es nur eine Lösung: Loslassen, immer wieder loslassen!

Der leise Schmerz und das schlechte Gewissen, für eine Sache, die wir nie benutzt haben, einmal viel bezahlt zu haben, kann uns viel über unsere unbewussten Entscheidungen lehren und im besten Fall dazu führen, dass wir künftig etwas bedachter wählen, nicht so von suchtartigem Verlangen getrieben! Man nennt dies aus Fehlern lernen.

Um ein echter Minimalist zu sein, bedarf es fortwährender Anstrengungen, denn die Gegenstände fließen einem förmlich zu, wenn man nicht aufpasst. Leute schenken einem etwas, was wir vielleicht grausig finden, doch wohin damit? Oh, da wüsste ich etwas… Ebay-Kleinanzeigen sind derzeit total in, ich muss gestehen, dass ich sie noch nicht ausprobiert habe, da ich Kleidung lieber zu Oxfam gebe, einer angesehenen NGO, die Shops in Großstädten unterhält, wo getragene, gut erhaltene Kleidung von ehrenamtlich tätigen Verkäufern günstig verkauft wird. Von dem Geld werden dann in Afrika Grasroot Projects finanziert. Tolle Sache!

Gegenstände  wie intakte, brauchbare Elektronik und Möbel wandern – sofern Bedarf –  zur nahe gelegenen Flüchtlings-Unterkunft. Manches verschenke ich offen gestanden auch zu irgendwelchen Anlässen. Wichtige Regel, die es zu beachten gilt: Ein Teil rein – ein Teil raus!

Raum und Zeit werden die Luxusgüter der  Zukunft sein, hat der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger einmal gesagt – und diese Zukunft ist jetzt bereits eingetreten! Schaffen wir also Raum! Die Klarheit wird ihr auf dem Fuße folgen!

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Mal mehr, mal weniger – mein Verhältnis zu Besitz

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Im Grunde genommen könnte ich meine Lebensgeschichte als Bericht über das An- und Abschwellen von Besitz schreiben. Sie beginnt mit einer Mutter, die sehr penibel auf Ordnung und Überblick bedacht war und keine Unordnung duldete. Etwa zweimal im Jahr inspizierte sie unsere Schubladen und Schränke und warf alles weg, was wir nicht als unabdingbar wichtig deklarieren konnten. Kleidung, aus der wir herausgewachsen waren, wanderte je nach Zustand zu Verwandten oder in die Altkleidersammlung, kaputtes Spielzeug wurde weggeworfen. Zuerst fühlte sich das zugegebenermaßen immer wie eine kleine Amputation an, doch am Ende waren die Schränke wieder übersichtlicher und ein Gefühl von Energie und Freiheit stellte sich ein!

Diesem unausgesprochenen Credo folgte ich mein Leben lang und miste regelmäßig aus. Und immer wieder stellt sich nach einer Phase mühsamer Entscheidungsprozesse (brauch ich das wirklich, benutze ich das noch – oder kann das weg?) eine enorme Klarheit und ein Energieschub ein.

Mit wie wenig man letztlich auskommt und wie man dabei sehr glücklich sein kann, erlebte ich am eindrücklichsten im Kibbutz. Mehrere Sommer lang flog ich über die Semesterferien nach Israel, um bei der Erntearbeit zu helfen, vor allem aber, um das gemeinschaftbetonte und konsumferne Kibbutzleben kennen zu lernen. Ich erlebte die beste Zeit überhaupt.

Unter uns rund 120 Volontäre aus aller Welt fand ein reges Besuchs- und Partyleben statt, an dem auch die gleichaltrigen Kibbutzniks gern teilnahmen. Das war der Kick! Nicht die Klamotten, die wir trugen (es waren ohnehin vom Kibbutz gestellte Arbeitsklamotten, was den Vorteil hatte, dass sie in der Kibbutz-Wäscherei für uns gewaschen wurden), sondern der Mensch  als solcher zählte. Was besaß ich dort in meiner Baracke drei Monate lang? Ein Bett, einen Schrank, einen Tisch und einen Stuhl. Später, als ich zum wiederholten Mal den Sommer im Kibbutz verbrachte, kam noch ein Wasserkocher hinzu. Gipfel der Seligkeit, jetzt konnte ich mir jederzeit einen Nescafé zubereiten und auch andere zu einem Kaffee einladen.

Die Reizarmut dieses recht großen Dorfes mit seiner Betonung von Gemeinschaft, die gemeinsamen Mahlzeiten im „Hadar Ochel“, dem großen Esssaal (die Arbeit dort war besonders beliebt, verschaffte sie einem doch einen guten Überblick über das Sozialleben) – all das führte dazu, dass ich am Ende des Sommers immer total erholt zurück an meinem Studienort kam. Ich fand dann immer mein Zimmer etwas voll und versuchte auch dort zu reduzieren. Dann fingen Kommilitonen an, sich etwas aufwendiger einzurichten (die Matratze verschwand vom Boden, eine Schlafcouch wurde angeschafft, Bretter und Ziegelsteine machten Billy-Regalen Platz) und ich wollte mit meinem aksetischen Lebensstil nicht „arm“ aussehen und passte mich dem an.

Im Verlauf meines Studiums trieben zu viele Flohmarktgänge seltsame Blüten: Ich entdeckte immer wieder neue Kuriositäten, die ich unbedingt bei mir aufstellen wollte, was mir ein wohnliches Gefühl gab. So wuchs mein Besitz, der zwar nicht besonders kostbar war, dafür aber umso vielfältiger und bunter.

In einer Lebenskrise mit 28 Jahren wurde mir klar, dass Veränderungen unausweichlich waren:

Job ändern, Besitz reduzieren, Bestandaufnahme machen. Ein Freund wies mich darauf hin, wie „vollgestellt“ meine Wohnung inzwischen war. Einen ganzen Sommer lang verkaufte ich auf Flohmärkten alle überflüssigen „Staubfänger“, wie diese Dinge zutreffendermaßen heißen und hatte schließlich ein weiß gestrichenes neues Zimmer, in dem sich anfangs noch nicht einmal mehr ein Bücherregal befand. Es war alles sehr minimalistisch und bauhaus-artig. Möbel, die man schnell zusammenklappen und wegräumen konnte. Keine Nippes mehr. Es war gigantisch.

In den nächsten Jahren achtete ich darauf, dass es weitestgehend so blieb, in allen Bereichen des Besitzes – mit Ausnahme von Büchern, da war ich mit dem Ausrangieren doch immer etwas zaghaft, weil für mich Bücher auch Lebensphasen markieren.

Im Laufe meiner Ehe und Familiengründung sammelte sich wieder viel Besitz an. Es war nicht einfach, seiner Herr zu werden, denn nun kamen wertvollere familiäre Erinnerungsstücke hinzu.  Nach dem Tod meiner Eltern verbot es die Pietät, sie einfach zu verkaufen. Manches schleppte ich dennoch auf den Flohmarkt, den ich aus alter Tradition einmal im Jahr mit einem Freund machte. Wir waren uns darüber einig, dass wir es nicht für die ein, zweihundert Euro taten, die wir erzielten, sondern weil wir gewissermaßen wollten, dass diese Teile in „gute Hände“ kamen. In dieser Haltung spiegelte sich auch unsere Wertschätzung für die Tatsache, dass in diesen Gegenstand einmal  Ressourcen und Energie geflossen waren.

Meine intensiven Begegnungen mit Beduinen in meiner Nachfamilien-Phase machten mir erneut klar, wie wenig wir eigentlich brauchen, um glücklich zu sein. In der Wüste lebst du Gemeinschaft – beim gemächlichen Gehen unterhältst du dich, du kochst gemeinsam und abends singst und tanzt du am Lagerfeuer. Je leichter der Rucksack war, desto einfacher war es, sich fortzubewegen – für die Beduinen, die Dromedare und für dich selbst. Je aufgehobener du dich in einer Gruppe fühlst, desto weniger Sachen brauchst du, denn du hast ja etwas viel besseres: Spaß und Spiel, Gemeinschaft und Geborgenheit. Das sind ja eigentlich die Dinge, auf die es uns ankommt, die wir aber normalerweise über Kaufimpulse zu befriedigen versuchen, was immer nur kurzfristig klappt.

Und so verschenkte ich bei meiner ersten Wüstentour nacheinander  Thermoskanne, Schuhe sowie Pullover und stellte erfreut fest, dass das morgendliche Packen, bevor wir weiter zogen, immer einfacher wurde.

Wenn ich in Tunesien Souvenirs kaufte und meinen Beduinenfreund fragte, ob er auch etwas wolle, antwortete er ziemlich desinteressiert: „Wir dekorieren nicht.“ Wo auch? Auf dem nackten Boden, wo Matten, auf denen nachts geschlafen wurden, als Sitzgelegenheiten dienten? Schränke, Regale – kaum vorhanden und wenn  nur, um den allernotwendigsten Besitz einer sechsköpfigen Familie aufzunehmen. Nein, für Dinge zum Hinstellen fehlte hier eindeutig der Sinn.

Ich fand das sehr inspirierend.

Aus lebenslanger Erfahrung weiß ich,  dass zu viel Besitz mich zu sehr bindet und in meiner Freiheit einschränkt.  Doch Loslassen ist eine lebenslange Aufgabe, denn immer wieder verfallen wir in die Angewohnheit, mehr zu horten, als wir brauchen und verlieren den  Überblick.

Ich bin immer dann glücklich, wenn mein Besitz nur das enthält, was ich wirklich wirklich brauche und was mir ein gutes Gefühl gibt. Gegenstände strahlen etwas aus, und wer dafür sensibel ist, kann dies sofort fühlen. Kommt nichts Positives rüber – weg damit! Egal in welchem sentimental moment man das Teil erworben hat. Denk an den Moment, nimm seine Learnings an und meinetwegen pack das Ding noch eine Zeit lang in einen Erinnerungskästchen, bis du es schließlich loslassen und verschenken (oder bei ebay  verkaufen) kannst.

 

Kaufen, kaufen, kaufen – ein Ende unserer Gier ist nicht in Sicht

IMG_0215Es liegt offenbar im Wesen der Gier (oder des Kapitalismus?), dass sie/er immer neue Objekte des Begehrens findet. Momentan findet gerade ein billiardenschwerer Run auf fruchtbare Böden statt, eine Spekulation mit Land und Nahrungsmitteln, die man ohnbe Übertreibung als unmoralisch bezeichnen kann, denn die Folgen, die daraus für einen Großteil der Menschen resultieren, sind desaströs.

„The winner takes it all“: Besonders gewieften und skrupellosen Investoren ist es völlig egal, wie ihre immense Gier nach immer mehr sich auf den Rest der Menschheit auswirkt. Wie die flächendeckende Abholzung von Wäldern (um Ackerflächen für Monokulturen zu gewinnen) sich auf das Klima auswirkt, wie die Unterstützung und Bestechung von Despoten und Diktatoren in Entwicklungsländern dort Fluchtbewegungen auslöst, mit denen wir (in Europa)  hautnah konfrontiert sind. Wie Spekulation mit Lebensmitteln in diesen Ländern zu massiven Preissteigerungen und Hungerkatastrophen führt.

„Kultivierte Verachtung“ gegenüber derart giergetriebenen Individuen – so lautet die Empfehlung des israelischen Sozialphilosophen Carlo Strenger in seinem  sehr aktuellen Buch „Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit“. Gierigen Menschen fehlt es am Bewusstsein für die Konsequenzen ihres Handelns – so gesehen sind sie dumm. Und was ist die spontane Reaktion auf ein besonders dummes Verhalten? Richtig: Kultivierte Verachtung!

Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel, in dem Menschen, die  mit weniger auskommen und ihr Leben dabei kreativ gestalten, ein höheres Prestige genießen als solche, die einfach nur Geld vermehren.

 

Weniger ist mehr

P1000720Über die Karibik fegt mit Hurrikan „Irma“, einer der schwersten je in der Region registrierten Tropenstürme, nur wenige Tage, nachdem „Harvey“ gerade Houston unter Wasser gesetzt hat. In Indien und Bangladesh starben über 2000 Menschen in der vom Monsum ausgelösten Flutkatastrophe. Solche extremen Wetterlagen sind Folgen des Klimawandels, darüber sind sich Experten einig, und sie werden häufiger.

Das Seltsame ist, dass wir alle wissen, was zu tun ist, uns aber weigern, es zu tun. Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsdefizit. Was braucht es noch, um uns zu einer radikalen Umkehr zu bewegen –  sofort, konsequent und nachhaltig?

Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass sich weltweit Plastikpartikel im Trinkwasser befinden – wir trinken unser eigenes Gift! Das „Feedback des Universums“, wie die Indianer es nennen, könnte deutlicher nicht sein. „Pachamama“ – Mutter Erde – wird seit Jahrzehnten ausgebeutet und gegängelt – nun rebelliert sie. Mit zunehmender Deutlichkeit. Warum wollen wir das nicht sehen? Wie groß ist unsere Kraft der Verdrängung?

„Weniger ist mehr – zurück zum eigenen Maß“ heißt ein Buch, das ich 1998 publiziert und das inzwischen in der dritten Auflage erschienen ist. Es behandelt die Hintergründe unseres ausgearteten Konsumverhaltens und die Rolle, die Werbung und Medien dabei spielen und ist (leider, muss man sagen) heute noch genauso aktuell wie damals, ja, eigentlich ist die Lage noch brisanter geworden.

Wir brauchen viel weniger als wir denken, um glücklich zu sein. Bei 60.000 Dollar im Jahr liegt die Grenze, unterhalb der Geld zum Lebensglück beiträgt, das haben Wissenschaftler um den US-Psychologen Martin Seligman herausgefunden. Darüber hinaus ist Geld nur noch bedingt glückstauglich. Warum dann der ganze Stress, warum wollen wir trotzdem immer mehr? Weil wir es nicht begreifen, nicht glauben wollen. Weil unsere Gier nach immer mehr von Medien und Werbung ständig am Leben erhalten und gefördert wird.

Und das Absurde: Je mehr ein Mensch „hat“, desto mehr glaubt er haben zu müssen – die Gier wächst exponentiell. Weil die Optionen sich vermehren, weil sehr wohlhabende Menschen sich mit noch reicheren vergleichen. Am Ende, das ist meine Vermutung, geht es nur noch im blanke Zahlen, die sich vergrößern müssen – nichts Reales lässt sich mit Milliarden noch visionieren – es sei denn, man gründet eine Stiftung.

Arme Menschen dagegen kennen kaum Gier, sie wäre angesichts ihrer Lebensumstände auch absolut kontraproduktiv, der Vergleich mit anderen, die sehr viel mehr haben als sie selbst ein Quell des Unglücks. Das jedenfalls haben mir die Beduinen erzählt, von denen ich im Laufe der Jahre, die ich mit ihnen verbracht habe, viel gelernt habe. Sie finden ihr Glück (und jeder Mensch, egal in welcher Lage, strebt danach, glücklich zu sein) dort, wo wir gerade dabei sind, es zu verlieren: in der Gemeinschaft mit anderen, in der Musik, im Tanz, im Feiern. Ohne Catering Service oder angeheuerte Band – nein, alles ist selbst kreiert.

Das, worauf es uns wirklich ankommt, sind doch ganz andere Dinge, als das zehnte Prada-Täschchen: Wir brauchen die emotionale Verbindung mit anderen Menschen, Freude am sinnvollen Tun und am Erleben von Natur und Kunst, das Gefühl, uns weiter zu entwickeln.

Und, gestatten Sie mir noch einen spirituellen Gedanken: Wie Tausende von Menschen mit Nahtoderfahrungen in Interviews Sterbeforschern erzählt haben, sind wir eigentlich aus einem einzigen Grund auf dieser Welt: Um Liebe zu erfahren und weiter zu geben. Nur sie füllt die Löcher in unserer Seele. Nicht die Sachen, die nicht.