Wie kann man sich erklären, dass wir Dinge kaufen, die wir gar nicht brauchen? Die zwanzigste Paar Schuhe, die zehnte Handtasche, das dritte Paar Handschuhe? Und wie kann es sein, dass Konsumenten für den Kauf eines neuen Smart-Phones die ganzes Nacht vor dem Laden verbringen, um am nächsten Tag als eine der ersten mit der Trophäe in der Hand bei ihren Freunden und Arbeitskollegen zu punkten? It’s all Psychology, Stupid! Bearney, ein Neffe Freuds und Vater der modernen Werbung und PR, erkannte als erster, welche Möglichkeiten für Marketing und Werbung in all den unerfüllten Bedürfnissen der Menschen schlummerten. .Inzwischen kümmert sich ein ganzes Heer von Marktpsychologen darum, immer gezielter in unsere Innenwelt einzusteigen und dort immer neue Bedürfnisse wach zu kitzeln.
Wie wir zu Konsumenten wurden
Die wenigsten wissen heute, dass der Siegeszug des amerikanischen Kapitalismus und vor allem die enge Verknüpfung von Demokratie mit dem kapitalistischen Modell durch einen Mann in die Wege geleitet wurde, der ein Neffe Sigmund Freuds war, des Begründers der Psychoanalyse. Edward Bernays ist heute so gut wie unbekannt, aber sein Einfluss auf das 20. Jahrhundert war fast ebenso groß wie der seines berühmten Onkels. Er war der erste, der Freuds Theorien im Auftrag von Großkonzernen nutzte, um die Massen zu beeinflussen, etwas zu wollen, was sie nicht brauchten, indem er massenproduzierte Waren mit ihren unbewussten Wünschen verknüpfte. Dies war die Geburtstunde des Konsumenten, wie er heute unsere Welt dominiert.
Edward Bernays hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg als PR-Berater – ein Begriff, den er selbst kreiert hatte – in Brooklyn niedergelassen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war Amerika eine Massenindustrie-Gesellschaft geworden, mit Millionen von Menschen, die dicht gedrängt in den Metropolen lebten. Entschlossen, Mittel und Wege zu finden, das Denken und Fühlen dieser Massen zu beeinflussen und dies lukrativ umzusetzen, wandte sich Bernays den Schriften seines Onkels, Sigmund Freud, zu.
Freud hatte ein düsteres Bild des Menschen gemalt, getrieben von irrationalen und unbewußten Kräften, die jederzeit unter der Oberfläche hervorbrechen konnten und in Gemeinschaft mit anderen zu einem rasenden Mob werden konnten, der sogar Regierungen stürzen konnte, wie es 1917 gerade in Rußland geschehen war.
Diese Vorstellung erschreckte die damaligen Eliten Amerikas. Für viele bedeutete dies, dass eines der Hauptprinzipien, die für Massendemokratien bisher galten, obsolet war: dass man Menschen vertrauen kann, ihre Entscheidungen auf rationaler Grundlage zu fällen. Demokratie musste also neu überdacht werden und man suchte nun nach psychologischen Techniken, die in der Lage waren, das Unbewusste von potentiell gefährlichen Massen zu lenken und soziale Kontrolle auszuüben.
PR-Kampagne bringt Frauen massenweise zum Rauchen
Bernays war fasziniert von der Vorstellung versteckter irrationaler Kräfte im Menschen und überlegte, wie man mit der Manipulation des Unbewussten Geld verdienen könne, denn er verstand sofort, dass menschlicher Entscheidungsfindung sehr viel mehr zugrunde lag, als man bisher gedacht hatte, und dass hierfür keineswegs nur rationale Motive ausschlaggebend waren. Indem er die Dinge aus dem Blickwinkel irrationaler Emotionen betrachtete, entwickelte er einen völlig neuen Denkhorizont. Die meisten Manager und Werbestrategen dachten damals, wenn man Menschen nur mit genügend Informationen über ein Produkt überschüttete, würden sie sich überzeugen lassen, es zu kaufen. Aber so funktionierte es eben nicht.
Bernays begann mit den Ideen Freuds zu experimentieren.
1920 schrieb er eine Reihe von Büchern, in denen er behauptete, er habe Techniken gefunden, um die irrationalen Kräfte der Massen zu managen: Man müsse ihre innersten Wünsche und unerkannten Bedürfnisse anregen und sie dann mit Konsumgütern befriedigen. Er nannte es „Engineering of Consent“ – auf Deutsch etwa: das „Entwicklung von Einverständnis“.
Sein aufsehenerregendster Erfolg war, dass er es schaffte, Frauen zum Rauchen zu veranlassen, was damals noch ein Tabu war – eine Frau rauchte nicht, schon gar nicht auf der Straße. Einer seiner ersten Klienten, die American Tobacco Corporation, beauftragte Bernays damit, dieses Tabu zu brechen. Bernays fragte einen der führenden Psychoanalytiker New Yorks, was Zigaretten für Frauen bedeuteten und erfuhr, dass Zigaretten den männlichen Penis und männliche sexuelle Kraft symbolisierten. Wenn es Bernays gelänge, Zigaretten stattdessen mit der Herausforderung männlicher Macht zu assoziieren, würden auch Frauen anfangen zu rauchen.
Rauchen wird zum Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit
Nun setzte Bernays zu einem geradezu genialen PR-Feldzug an. Als in New York die jährliche Osterparade anstand, überredete er ein paar Models, Zigaretten unter ihren Strumpfbändern versteckt zu halten. Sie sollten dann zu der Parade stoßen und auf ein verstecktes Zeichen von ihm ihre Zigaretten hervorholen und mit dramatischer Geste anzünden. Gleichzeitig informierte Bernays die Presse, zu der er ausgezeichnete Verbindungen unterhielt, er habe gehört, dass eine Gruppe Suffragetten die Osterparade für ihren Protest nutzen wolle, indem sie etwas anzündeten, was sie „Fackeln der Freiheit“ nannten.
Er wusste, dass alle Fotografen zur Stelle sein würden, um diesen Augenblick einzufangen, dafür hatte er den PR-wirksamen Slogan „Fackeln der Freiheit“ entwickelt. Auf diese Weise hatte er mit äußerstem Geschick junge, gutaussehende Frauen, die in der Öffentlichkeit rauchten, mit Freiheit, dem Symbol, für das Amerika steht verknüpft, sodass jeder, der an den amerikanischen Traum glaubte, diese Frauen und ihr Verhalten unterstützen musste. Am nächsten Tag war über dieses Ereignis in allen Zeitungen des Landes sowie in der internationalen Presse zu lesen – und von da an stieg der Verkauf von Zigaretten an Frauen kontinuierlich.
Bernays hatte mit einem einzigen symbolischen Akt das Rauchen für Frauen sozial akzeptabel gemacht. Mehr noch: Er setzte die Idee durch, dass es eine Frau mächtiger und unabhängiger macht, wenn sie raucht.
Wie wir lernten, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen
Nach diesem Erfolg wusste Bernays nun definitiv, dass es möglich war, Menschen zu veranlassen, sich irrational zu verhalten, indem man Produkte an ihre Gefühle, ihre emotionalen Wünsche und Bedürfnisse band. Produkte werden nicht an den Intellekt verkauft, sondern an das Gefühl: Du brauchst das neue Kleid oder Auto nicht – aber du fühlst dich besser, wenn du es kaufst! Mit dieser emotionalen Verknüpfung schuf Bernays den neuen Konsumenten-Typ.
Die Ideen Bernays faszinierten die amerikanischen Konzerne, die seit geraumer Zeit die Furcht umtrieb, dass das System der Massenproduktion über kurz oder lang zu einer Überproduktion führen würde, sobald der Punkt erreicht war, an dem alle Bedürfnisse der Menschen nach Kühlschränken, Fernsehern und Autos etc. befriedigt wären und sie einfach aufhören würden zu kaufen.
Bis zu dem Zeitpunkt hatte man die meisten Produkte auf der Basis von Notwendigkeit verkauft, in der Werbung wurden ihre Funktionen oder ihre Langlebigkeit herausgestellt, aber nun realisierten die großen Firmen, dass sie die Art, wie Menschen Waren betrachteten, verändern mussten.
Einer der damals führenden Wall Street Banker, Paul Mazer, schrieb: „Wir müssen Amerika von einer Kultur der Notwendigkeiten zu einer der Wünsche verändern. Den Menschen muss beigebracht werden etwas zu begehren, neue Dinge haben zu wollen, noch bevor die alten vollständig verbraucht sind. Wir müssen eine neue Mentalität in Amerika formen, in der die Wünsche der Menschen ihre Notwendigkeiten überlagern.“
Für diesen Umformungsprozess, der Mazers Vision folgend die Massen dazu bringen sollte, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchten, aber wollten, lieferte Bernays die psychologischen Theorien, denn er wusste besser als jeder andere, wie man die Massen beeinflussen konnte und den menschlichen Geist motiviert. Sein Job war es, den neuen Konsumententyp „herzustellen“. Und so entwickelte er in den 20er Jahren die meisten Techniken der Massenkonsumenten-Manipulation, mit denen wir bis heute leben.
Autos als Symbole männlicher Sexualität
Auch der Verleger William R. Hearst engagierte ihn, um ein neues Frauenmagazin zu promoten. Bernay verlieh ihm einen besonderen Zauber, indem er Artikel und Werbung platzierte, die Produkte seiner anderen Kunden in Verbindung mit berühmten Filmstars zeigten. Er begann mit Product Placement in Filmen und stattete Stars mit Kleidern und Juwelen der Firmen aus, die er repräsentierte. Er war auch der erste, der Autoherstellern empfahl, Autos als Symbole männlicher Sexualität zu verkaufen. Außerdem engagierte er Psychologen, die Gutachten erstellten, in denen sie bestimmte Produkte als besonders gut empfahlen, behauptete aber, dies seien unabhängige Studien.
Er organisierte Modeschauen in Kaufhäusern und bezahlte Prominente dafür, dass sie die grundlegende Botschaft wiederholten: „Ihr kauft Dinge nicht, weil ihr sie braucht, sondern um eure Individualität auszudrücken!“ 1927 schrieb ein amerikanischer Journalist: „In unserer Demokratie hat eine Veränderung stattgefunden und sie heißt Konsum. Die erste Priorität eines Amerikaners für sein Land ist nicht mehr, ein Bürger zu sein, sondern ein Konsument!“ Edward Bernays wurde berühmt als der Mann, der die Köpfe der Massen verstand und wusste, wie man sie erfolgreich ansprach.
1929 kam mit Herbert C. Hoover ein Präsident an die Macht, der mit Bernays Ideen völlig übereinstimmte. Er war der erste Politiker, der den Gedanken aussprach, die Konsumenten seien der zentrale Motor des amerikanischen Lebens geworden. Nach seiner Wahl sagte er zu einer Gruppe von Werbe- und PR-Leuten: Sie haben den Job übernommen, Wünsche zu wecken und so Menschen in bewegliche Glücksmaschinen zu verwandeln, Maschinen, die der Schlüssel für wirtschaftlichen Fortschritt geworden sind.
Diese Konsumenten hielten nicht nur die Wirtschaft am Laufen, sondern waren auch etwas schläfrig, was zur Stabilität der Gesellschaft beitrug. Ann Bernays, die Tochter von Edward Bernays, sagte dazu später in einem Interview: „Für meinen Vater war Demokratie ein wunderbares Konzept, aber er glaubte nicht, dass alle Menschen ein verlässliches Urteil hatten und daher leicht verführt werden konnten, den falschen Mann oder überhaupt das Falsche zu wählen; also mussten sie von oben geführt werden.“
Die Psyche betäuben, um Machtverhältnisse zu erhalten
Der PR-Historiker Steward Ewen bemerkt kritisch: „Bernays Konzept der Massen-Führung macht aus der Idee der Demokratie ein Betäubungsmittel, indem er den Menschen eine Wohlfühl-Medizin gibt, die bei jedem unmittelbaren Verlangen und jedem Schmerz eingesetzt werden kann, ohne dass die objektiven Gegebenheiten dabei auch nur ein Jota verändert werden. Kern der Idee von Demokratie war ursprünglich, die Machtverhältnisse zu ändern, die die Welt so lange bestimmt hatten. Bernays Vorstellung von Demokratie war jedoch, die Machtverhältnisse zu erhalten, selbst wenn dies bedeutete, die Psyche des Volkes zu stimulieren, und seiner Meinung nach war es das, was nötig war. Aber wenn man die irrationalen Kräfte ständig stimuliert, kann die Führung im Prinzip fortfahren zu tun, was sie will!“
Bernays wurde eine der bekanntesten Persönlichkeiten der amerikanischen Gesellschaft und wurde außerordentlich reich. Zu seinen Soireen kamen alle: der Bürgermeister, führende Medienleute, Politiker, Unternehmer und Künstler – es war ein Who is Who. Alle wollten Bernays kennenlernen, weil er eine Art Magier war, der die erstaunlichsten Dinge geschehen lassen konnte.
Seine Machtposition wurde jedoch kurzfristig durch eine menschliche Irrationalität zerstört, gegen die er machtlos war: den Börsen-Crash von 1929. Der Effekt auf die Wirtschaft war verheerend: Angesichts von Rezession und Arbeitslosigkeit hörten Millionen von Amerikanern auf, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchten. Bernays, seine Sicht des Konsumenten und der PR-Beruf als solcher wurden unpopulär. Die Krise schwappte auch zu den jungen Demokratien Deutschland und Österreich, wo sich bewaffnete Anhänger der verschiedenen politischen Parteien Straßenschlachten lieferten.
Vor diesem Hintergrund schrieb der krebskranke Freud sein Buch „Das Unbehagen in der Kultur“ – eine heftige Attacke gegen die Idee, dass Zivilisation ein Ausdruck menschlicher Entwicklung sei. Vielmehr, so argumentierte er, sei sie notwendig, um die gefährlichen triebhaften Kräfte, die in jedem Menschen schlummern, zu kontrollieren.
Irrationale Triebkräfte durch Konsum besänftigen
Das bedeutete eigentlich, dass das Ideal der individuellen Freiheit, das Herzstück der Demokratie, unmöglich war. Man konnte den Menschen also nicht erlauben, sich wirklich frei zu äußern, weil dies zu gefährlich war. Sie mussten ständig kontrolliert werden und somit unzufrieden bleiben, denn dies war die einzige Möglichkeit war, ihnen Grenzen zu setzen.
Auch die Nationalsozialisten waren davon überzeugt, dass Demokratie gefährlich sei, weil sie selbstsüchtigen Individualismus freisetze. Mit straff organisierter Freizeit und Massenveranstaltungen wurden die Gefühle und Wünsche der Menschen daher kanalisiert und in fanatische Hingabe für ihr Land und dessen „Führer“ umgewandelt.
Eine seiner Inspirationen, erzählte Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels amerikanischen Journalisten, seien die Schriften von Freuds Neffen Edward Bernay gewesen! Die Nazis förderten die von Bernays und Freud beschriebenen unbewußten Begierden und dunklen Triebkräfte absichtlich, weil sie glaubten, sie könnten sie beherrschen. Bei Aufmärschen Hitlers, wenn die Massen plötzlich „Sieg Heil!“ skandierten konnte man das eruptive Aufbrechen dieser irrationalen Kräfte beobachten.
Auch in den USA war die Demokratie gefährdet, weil eine aufgebrachte Bevölkerung ihre Wut über Massenarbeitslosigkeit und Verarmung gegenüber den Aktiengesellschaften entlud, die sie als Verursacher des Desasters betrachteten. Als Franklin D. Roosevelt 1933 – auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise – als neuer Präsident gewählt wurde, trat er mit dem erklärten Ziel an, die Demokratie wieder zu stärken. Seiner Überzeugung nach hatte der Börsencrash deutlich gezeigt, dass der Laisser-Faire-Kapitalismus moderne Industriegesellschaften nicht länger lenken dürfe, sondern dass dies vielmehr die Aufgabe von Regierungen war. Die Großunternehmen waren entsetzt.
Unter dem Schlagwort „New Deal“ führte er einschneidende Wirtschafts- und Sozialreformen ein und kurbelte mit massiven staatlichen Investitionen die Binnenkonjunktur an, um Massenarbeitslosigkeit und Armut zu lindern. Er glaubte, dass die Menschen vernunftbegabt seien und man ihnen zutrauen könne, einen aktiven Part in der Politik zu übernehmen, indem man ihre Meinung mit einbezog.
Gemeinschaftsgefühl als Gegenmittel zur Macht der Großkonzerne
Unterstützt wurde er dabei von George Gallup, dem Pionier der Markt- und Meinungsforschung. Gallups regelmäßige Meinungsumfragen („Was denkt das Land?“) vermittelten ein kontinuierliches Bild davon, wie zufrieden oder unzufrieden die Bürger mit der politischen Führung waren, was sie billigten und was sie ablehnten. Anders als Bernays glaubte Gallup nicht, daß Menschen unbewussten Kräften ausgesetzt seien, sondern war überzeugt davon, dass sie wussten, was sie wollten und vernünftige Entscheidungen trafen, wenn man ihnen sachliche Fragen stellte und darauf verzichtete, ihre Gefühle zu manipulieren.
Diese Umfragen gaben der Demokratie die Chance, über die öffentliche Meinung genau informiert zu sein, indem sie jedem eine Stimme gaben, die auch gehört wurde. So schuf Roosevelt eine völlig neue Verbindung zwischen Volk und Politik. Berühmt wurde seine Rede, die mit den Worten anfing: „Es ist meine feste Überzeugung, dass das einzige, was wir zu fürchten haben, die Furcht selbst ist.“ Er sah und behandelte Menschen nicht als isolierte und manipulierbare Individuen, sondern lenkte ihr Augenmerk darauf, daß sie gemeinsame Ziele und Interessen mit anderen hatten, und daß dieser Zusammenhalt ihnen helfen würde, sich über ihre persönlichen Ängste zu erheben.
Roosevelts Ziel war es, soziale Gerechtigkeit und darüber hinaus ein Gemeinschaftsgefühl zwischen den Menschen zu schaffen, welches ein Gegengewicht zur Macht der Großkonzerne darstellen konnte. Bei seiner Wiederwahl 1937 versprach er weitere Kontrolle der Großunternehmen, was diese als „Eingriff in privates Unternehmertum“ und „Beginn einer Diktatur“ bezeichneten. Sie beschlossen zurückzuschlagen und einen ideologischen Krieg gegen Roosevelts New Deal zu führen, um ihre Macht wiederzuerlangen.
Der PR-Historiker Steward Ewen: „Unter der Schirmherrschaft der National Association of Manufacturers, deren Mitglieder alle großen Aktiengesellschaften waren, wurde eine Kampagne gestartet. Sie sollte emotionale Bindungen zwischen der Öffentlichkeit und den Großunternehmen herztellen – wobei Edward Bernays PR-Techniken voll zum Einsatz kamen.“
PR-Strategie zur Verknüpfung von Demokratie mit Kapitalismus
Die Kampagne zeigte drastisch, dass es die Unternehmen und nicht die Politiker waren, die das moderne Amerika geschaffen hatten. Beispielsweise mit Filmen wie der General Motors-Produktion „Parade of Progress“, in der die faszinierende Geschichte der modernen Industrie gezeigt wurde. Bernay war Berater von GM, aber er war nicht mehr der Einzige, die Branche, die er gegründet hatte, blühte, als Hunderte von PR-Beratern die Kampagne organisierten. Sie setzten nicht nur Anzeigen und Plakate ein, sondern schafften es, ihre Botschaft bis in die Leitartikel der Zeitungen zu lancieren.
Als Reaktion darauf ließ die amerikanische Regierung Filme herstellen, in denen sie die skrupellose Manipulation der Presse durch die Großunternehmen anprangerte. Dabei nahm sie besonders deren Handlanger, die neue Berufssparte der PR-Manager aufs Korn: „Sie versuchen ihre Ziele zu erreichen, indem sie total im Hintergrund operieren und so die Öffentlichkeit täuschen und korrumpieren. Die Ziele dieser Leute mögen gut oder schlecht sein, aber ihre Methoden sind vom öffentlichen Interesse her gesehen eine große Gefahr für demokratische Institutionen.“
Im Jahre 1939 fand in New York die Weltausstellung statt, für die Bernays zentraler Berater war. Er bestand darauf, dass das Thema die Verbindung zwischen Demokratie und amerikanischer Wirtschaft sein müsse. In GMs „Futurama“ wurden die Zukunft und der technologische Fortschritt in faszinierenden Bildern verherrlicht und Wohlstand, Überfluss und Bequemlichkeit in einer ständig wachsenden, immer größer und besser werdenden Welt von Morgen versprochen.
„Für meinen Vater war die Weltausstellung eine Chance, den Status Quo aufrechtzuerhalten: die enge Verbindung zwischen Demokratie und Kapitalismus“, sagt Ann Bernays. „Er tat dies, indem er Menschen manipulierte und ihnen einredete, dass sie keine wirkliche Demokratie in irgendetwas anderem als in einer kapitalistischen Gesellschaft haben konnten. Eine Gesellschaft, die in der Lage war, einfach alles zu machen – diese wunderbaren Autobahnen zu bauen, bewegte Bilder in jedes Haus zu bringen oder Telefone zu erfinden, die keine Schnur brauchten. Es war konsumistisch, aber gleichzeitig gingen Demokratie und Kapitalismus auf leichte Weise eine Verbindung ein.“
Die Weltausstellung war ein außerordentlicher Erfolg, sie begeisterte die Amerikaner und nahm ihre Vorstellungskraft gefangen, denn sie transportierte die Vision einer neuen Form der Demokratie, in der die Unternehmen auf die innersten Wünsche der Menschen in einer Weise eingingen, wie es Politiker nie tun konnten. Aber es war eine Demokratie, in der die Menschen nicht mehr als aktive Bürger behandelt wurden, wie Roosevelt es tat, sondern als passive Konsumenten. Nicht die Menschen, sondern ihre Wünsche sind entscheidend.
Getrieben von irrationalen Kräften
„Unter diesen Umständen haben die Menschen keinerlei Entscheidungsmacht“, so der PR-Historiker Steward Ewen. „Auf diese Weise wird Demokratie, die eigentlich einen aktiven Bürger voraussetzt, auf eine Öffentlichkeit von passiven Konsumenten reduziert, die in erster Linie von ihren instinkthaften, unbewussten Wünschen getrieben wird. Und wenn es einem gelingt, diese Wünsche auszulösen, kann man mit ihnen alles machen, was man will.“
Der Kampf dieser beiden Sichtweisen – ob Menschen vernünftig oder unvernünftig sind – wurde schließlich ganz maßgeblich durch die Ereignisse in Europa beeinflusst. Der Zweite Weltkrieg, vor allem der massenhafte Hass der Bevölkerung auf die Juden, den das Nazi-Regime in Deutschland ausgelöst hatte, veränderte die Art und Weise, wie amerikanische Politiker Demokratie betrachteten fundamental.
Jetzt waren sie überzeugt davon, dass Freud recht hatte. Verborgen unter der Oberfläche schlummerten offenbar in allen Menschen gefährliche, wilde Kräfte, die kontrolliert werden mussten. Die Konzentrationslager legten ein schreckliches Zeugnis davon ab, was passierte, wenn man diese Kräfte entfesselte. Da sie davon ausgingen, dass in ihrer eigenen Bevölkerung dieselben verborgenen Kräfte lagen, wandten sich Politiker und Planer den Theorien Freuds und seiner Familie zu. Sigmund Freud war bereits 1939 in London gestorben, aber seine Tochter Anna wurde in den Staaten sehr populär, weil sie glaubte, man könne den Menschen beibringen, ihre irrationalen Kräfte zu kontrollieren. Der anpassungsfähige Edward Bernay arbeitete inzwischen für den CIA.
Ihre Ideen wurden von der US-Regierung, den Großunternehmen und der CIA verwendet. Sie entwickelten umfangreiche Programme, um das psychologische Leben der Massen zu beeinflussen, denn dies, so glaubten sie, sei der einzige Weg zu einer funktionierenden Demokratie und einer stabilen Gesellschaft.
Konsumenten auf der Couch
Die Unternehmen warben für die Idee, dass der Befriedigung individueller Wünsche und Gefühle oberste Priorität eingeräumt werden müsse und sie entwickelten auf Basis der Theorie Freuds eine Reihe von Techniken, um die innersten Wünsche und Vorlieben der Menschen zu eruieren und mit entsprechenden Produkten zu befriedigen.
Stuart Ewen: „Die Strategie, die Bernays ihnen dafür anbot, war, dass die Leute ein Produkt nicht so sehr als etwas ansehen sollten, was sie für bestimmte Zwecke brauchten, sondern als etwas, was ihnen gut tue und ihren tiefsten emotionalen Sehnsüchten entspreche. Also wie dieses Seifenstück sie zu einer glücklicheren, erfolgreicheren, stärkeren, sexuell attraktiveren und weniger ängstlichen Person macht, zu jemand, den man bewundert. Die mächtigsten Menschen dieser Welt sind diejenigen, die das Volk in dieser Hinsicht verstehen können und ihm das geben, was es will.“
Und so entstand in den letzten Jahrzehnten eine gewaltige Industrie, die sich der Erforschung von Konsumentenwünschen widmete. In analytisch orientierten „Focus-Gruppen“ wurden die Konsumenten wie Patienten auf der Couch eines Analytikers dazu ermutigt, ihre innersten Gefühle und Bedürfnisse auszusprechen. Diese Informationen wurden dann zur Entwicklung neuer Produkte genutzt, die diese Bedürfnisse erfüllen sollten. Bernays war der Gründungsvater dieser bunten Marketingwelt, deren Credo lautete: Finde heraus, was die Leute wollen und verkaufe es ihnen!
Bei ihren Studien in den Focus-Gruppen begannen Marketingforscher Anfang der 80er Jahre einen neuen Individualismus zu entdecken. Die Menschen wollten nicht mehr nur als Teil einer sozialen Schicht gesehen werden, sondern suchten nach stärkerem Selbstausdruck – nach dem Motto: „Ich möchte nicht so sein wie jeder andere, ich möchte anders sein, ein kleines bisschen individueller“ – und eine entscheidende Rolle dafür spielten die Produkte, die sie kauften.
Individualismus – ein schlaues Marketing-Concept
So entstanden neue Zielgruppendefinitionen und vor allem viele neue Markenprodukte, um diese vermeintliche „Individualität“ auszudrücken, die in Wahrheit nichts anderes als ein neuer Mainstream war und ist. In den späten 80er Jahren feierten die Wünsche des Individuums wahre Triumphe. Hedonismus hieß der neue Trend, und die Konsumenten wurden von Werbung und Medien darin bestärkt, die Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse als vorrangige Priorität zu betrachten.
Für manch einen mag dies nach einer perfekten Welt aussehen. Jeder kann tun, wozu er Lust hat und kaufen, was er will. Tatsächlich aber hat man uns darauf konditioniert, einen Großteil unserer Zeit und Aufmerksamkeit eigentlich unwichtigen Dingen zu schenken – Zeit, die wir besser für eine kreative und sinnvolle Gestaltung des eigenen Lebens oder, je nach Gemütslage, für die Verbesserung der Lebensbedingungen anderer, egal wo auf dem Globus, nutzen könnten. Zeit, die wir auf ganz einfache und ursprüngliche Weise mit Freunden verbringen, ohne dass sich zwischen uns und die anderen immer ein Konsumerlebnis oder –zwang schiebt. Reden, Lachen, Spielen, Tanzen!
Hedonistische Rücksichtslosigkeit dagegen zersetzt das Gemeinschaftsgefühl und löst soziale Bindungen auf. Vor allem aber werden durch die unentwegte Erzeugung von Pseudo-Bedürfnissen und den medialen Appell, sie ununterbrochen zu befriedigen, die selbstsüchtigen und gierigen Anteile der menschlichen Natur massiv verstärkt.
Wenn wir die grassierende Gier beklagen und unseren Konsum wirklich zurückschrauben wollen, müssen wir aufhören, unsere Wünsche und Bedürfnisse manipulieren zu lassen. Wir müssen also von selbstverliebten Ichlingen, die für jede Werbe-Schmeichelei anfällig sind, wieder zu aufmerksamen Bürgern und sozial denkenden Mitmenschen werden, von narkotisierten Konsumsklaven, die sich jeden Tand oder Trend verkaufen lassen, egal wie unnötig oder absurd er ist, zu bewussten Verbrauchern werden. Wir müssen endlich aufwachen!