Krieg in Nahost

Seit Wochen habe ich eigentlich nur noch das Bedürfnis Schwarz zu tragen. Das grauenhafte Massaker der Hamas an unschuldigen Zivilisten in Israel hat mich zutiefst erschüttert, das IS-artige Gemetzel erweckten tiefstes Grauen in mir und ich fühle mit den Angehörigen. Israel ist das Land, in das ich einmal auswandern wollte (hätte mein Großvater das damals getan, hätte er den Holocaust überlebt). Israel hat mich als Studentin so begeistert, dass ich jahrelang jeden Sommer hinflog, um drei Monate lang in einem Kibbuz zu leben und zu arbeiten. Ich bejahte aus vollem Herzen Israels Anspruch auf ein eigenes Land, einen sicheren Ort, auf Heimat.

Kibbuz Yif’at 1975

Mit steigender Zahl getöteter Zivilisten in Gaza – darunter tausende Kinder – schließt mein o.a. Entsetzen nun jedoch auch den Rachefeldzug des israelischen Militärs und dessen flächendeckendes Bombardement des Gazastreifens ein. Das Leid der Zivilbevölkerung kann mir nicht egal sein, es geht mir unter die Haut. Wie fühlen sich Kinder, die auf engem Raum wochenlangem Bombardement ausgesetzt sind, welche Kriegstraumata wird eine ganze Generation davontragen? Wie viele von ihnen werden diese Erfahrung nie vergessen und künftige Anhänger der Hamas werden, der so mit jedem abgeschlagenen Arm ein neuer nachwächst? Das mag drastisch klingen, aber dieser Satz geht mir seit Tagen nicht aus dem Sinn…

Auch wenn anders argumentiert wird – das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn wird weder die Getöteten wieder lebendig machen noch hat es bisher vermocht, die über 200 verschleppten Geiseln wieder zurückzubringen.

Ich bin mir bewusst, dass es gegen die deutsche Staatsräson verstößt, Israels Politik kritisch zu betrachten. Doch ist diese Staatsräson, die Helmut Schmidt vor Jahren in einem Interview einmal als töricht bezeichnete, in dieser Form überhaupt noch sinnvoll? Müsste sie nicht an die veränderten Gegebenheiten angepasst werden?

Nahost-Experten berichten, die israelische Regierung sei im Laufe der letzten Jahre immer stärker unter den Einfluss religiöser Extremisten gekommen. Gegen die geplante Justizreform und den damit verbundenen Abbau demokratischer Strukturen gingen bis vor dem Anschlag der Hamas Woche für Woche Hunderttausende auf die Straße. Cui bono – wem also nützt eine so bedingungslose und damit Kritik ausschließende Gefolgschaft, wie sie auch von führenden israelischen Politikern eingefordert wird, wem – außer den Hardlinern an der Spitze? Und werden wir mit unserem Schweigen angesichts des Leids, das die schrecklichen Bilder der Verwüstung in Gaza uns täglich zeigen, nicht zu ungewollten Mittätern? Ist es human, wenn wir auf dem EU-Gipfel noch nicht einmal für eine humanitäre Feuerpause votieren dürfen? Ist es angemessen, wenn schon eine Enthaltung als fehlende Solidarität mit Israel betrachtet wird?

Anstatt sich an die Staatsräson zu klammern, wäre meines Erachtens eine ausgewogenere Haltung zu Israels Politik, die auch legitime Interessen der Palästinenser berücksichtigt (und anprangert, wo diese verletzt werden), zukunftsweisender und dem Frieden dienlicher.